Deborah Sundahl
Hans-Nietsch-Verlag
Ersterscheinung 2003 in USA
Deutsche Ausgabe 2006
Deborah Sundahl (USA) ist wie viele Frauen aus den 40/50er Jahren mit dem Bild aufgewachsen, eine Frau muss nett, ordentlich, anständig, freundlich und darf auf keinen Fall sexy sein. Als Lustorgan der Frau war gerade mal die Klitoris entdeckt. Die Vagina wurde in den Lehrbüchern als empfindungsloser Schlauch dargestellt und vom G-Punkt oder gar von weiblicher Ejakulation war nicht die Rede. Ejakulierende Frauen standen allein da und schämten sich, dass sie beim Liebesspiel „urinieren“ würden. Dem gesellschaftlichen Bild nach sollte die Frau einen „süssen, niedlichen, ruhigen und vollkommen kleinen Orgasmus haben, bei dem sie still da liegt und nicht ins Schwitzen gerät“.
Deborah selbst hat sich ganz anders erfahren und hat angefangen, gegen dieses Bild aufzubegehren und ist mit Seminaren und einem Video über Weibliche Ejakulation an die Öffentlichkeit gegangen. Mit grossem Enthusiasmus, Wildheit, Stärke und kämpferischem Freudentanz. Dieser Eifer und diese Aufbruchstimmung ziehen sich durchs ganze Buch. Für mich einerseits erfrischend aber auch ermüdend, weil es streckenweise ins fanatische geht.
Es ist mitunter der Verdienst von Frau Sandahl, dass wir heute aufgeklärter sind. Rund um die Harnröhre befindet sich das sogenannte Harnröhrenschwellgewebe, auch weibliche Prostata oder G-Punkt genannt. Da Harnröhre und Vaginalwand dicht beieinanderliegen, ist dieses Gewebe durch die Vaginalwand leicht zu ertasten. In diesem Gewebe liegt eine erotische Kraft, die frau durch Bewusstwerdung und immer wiederkehrender Massage dieser Zone erschliessen kann. Im Harnröhrenschwellgewebe liegen bis zu 40 Drüsengänge, die sich bei sexueller Erregung mit einer Flüssigkeit füllen können. Diese Flüssigkeit ist nicht Urin, meist klar und annähernd geruchlos und kann sich in die Harnröhre entladen und als Erguss (Ejakulation) – auch „Freudenfluss“ genannt – nach aussen rinnen oder spritzen. Manche Frauen ejakulieren, manche nicht.
Deborah Sundahl hat alle Fakten zusammengetragen, die zu diesem Phänomen mittlerweile bekannt sind und bringt im Buch genaue Anleitungen, den G-Punkt (was ja eigentlich mehr eine Zone, als ein Punkt ist) zu erkunden und zu stimulieren und gibt Techniken weiter, den Freudenfluss in Gang zu setzen bzw. zu intensivieren. Auch der Shift vom klitoralen zum G-Punkt-Orgasmus wird detailliert erklärt. Ihre Botschaft ist: Jede Frau kann ejakulieren. Sie sagt zwar nirgends: eine Frau sollte ejakulieren und dennoch entsteht im Buch fast so etwas wie ein Wettbewerb, oder gar eine Olympiade, indem sie immer wieder die ejakulierende Frau als toll, gereift, befreit, geheilt, begehrt, selbstbewusst und glücklicher beschreibt. Und es wird allerhand in Aussicht gestellt: „Die Ejakulation ist der Weg in eine neue Dimension körperlicher, emotionaler und spiritueller Heilung“.
Hier überschreitet sie für mein Befinden eine empfindliche Grenze. Eindeutig, Deborah will den Frauen Gutes bringen. Schiesst aber an vielen Stellen übers Ziel hinaus, indem sie davon ausgeht: Was für mich gut ist, ist auch für ALLE anderen gut! Da kommen wir in gefährliche Gefilde. Raus aus der einen Fremdbestimmung – rein in die nächste? Wo bleibt da die Individualität? In meiner Arbeit mit meinen KlientInnen erstaunt mich immer wieder die unglaubliche Verschiedenheit der sexuellen Anlagen und Ausprägungen.
Mir scheint Deborah hier zu wenig sensibel dafür, dass die Befreiung der einen Frau zum Zwang für die andere Frau werden kann. Insbesondere, weil sie den Frauen, bei denen die Ejakulation auch nach viel üben „nicht klappt“, tiefliegende Blockaden attestiert. Da entsteht so ein hässliches Gefälle: Die Ejakulierenden sind schon „entpanzert“ und befreit und die anderen müssen noch viel üben und noch viel Therapie machen. Kennen Sie jemand, der keine Blockaden hat? Na also! Gerade unter den Frauen ist der Glaubenssatz: ich muss noch viel an mir arbeiten weit verbreitet – zumindest in der Schweiz, wie das in den USA ist, weiss ich nicht. Wenn ich denke, ich muss noch viel an mir arbeiten, um etwas zu erreichen, bin ich aber gar nicht in meiner Kraft. Doch genau um diese Kraft geht es Deborah ja eigentlich. Andernfalls kippt das Bild der 40/50er Jahre ins Gegenteil: eine Frau sollte im Bett wild sein, einen bombastischen Orgasmus haben und Becherweise ejakulieren.
Wenn man das Buch liest im Sinne von: da hat sich eine Frau auf den Weg gemacht, IHRE Sexualität zu erforschen und entwickeln, sich von Ängsten und falschem Wissen zu befreien und dabei lustvolles, freudvolles und vielleicht sogar himmlisches gefunden, dann ist das Buch ein wichtiger Baustein im Neuland weiblicher Sexualität.
– Kristina Pfister