Winterthurer Zeitung
26. August 2009
Sexualität funktioniert nicht „einfach so“
Die Winterthur Sexualtherapeutin und Autorin der „SexKiste der Liebe“ Kristina Pfister organisiert Seminare für Frauen, Männer, Paare, bei denen „es“ nicht mehr so rund läuft. Für uns beantwortet sie Fragen rund um das Thema.
Frau Pfister, macht Sex glücklich?
Kristina Pfister: Wir gehen mit der Sexualität ein bisschen naiv um. Sexualität ist kein Weihnachtsmann, der uns alle unsere Wünsche erfüllt.
Am Anfang aber schon!
Ja richtig, da ist wirklich 1-2 Jahre lang „Weihnachten“.
Und dann? Kommt dann die Krise?
Sex ist störanfällig – im Nu kann alles plötzlich nur noch schwierig sein. Das geht schneller als man denkt und die Teufelskreise rund ums Bett sind extrem hartnäckig. Warten und Teetrinken und hoffen auf die guten alten Zeiten hilft selten. Besser sind Anpacken und Hinschauen.
Das klingt nach Schwerarbeit.
Immer mehr Paare wissen, dass Liebe und Intimität keine abonnierten Gefühlszustände sind, sondern viel mehr eine Frage der Entscheidung und bewusster Gestaltung. Natürlich gehört zur Krise auch die Schwere, aber es kann auch dadurch erst richtig spannend werden. Weil dann Jenes an den Tag kommt, das immer schon da war. Zum Beispiel die Angst, nicht zu genügen, verlassen zu werden, im Bett gut sein zu müssen, unerfüllbare Bestätigungswünsche usw.
Sie bieten diesen Herbst 3 Spezialseminare an. Was ist die gemeinsame Ausrichtung?
Es geht bei allen Seminaren – eines für Paare, eines für Frauen, eines für Männer – um den kreativen Umgang mit Unterschieden. Unterschiede in der Lust, in der Entflammbarkeit und in der Erregung.
Warum sind gerade diese Themen relevant?
Weil es die häufigsten Stolpersteine bei Paaren sind, die zu mir in die Praxis kommen. Und da lag es nahe, diese Dauerbrenner mal in Seminarform anzubieten.
Wie muss man sich so ein Seminar vorstellen? Ist das praktischer Lustunterricht, wo alle nackt sind?
Nein (lacht). Das überlasse ich den guten Schweizer Tantraschulen – was übrigens eine wertvolle Erfahrung sein kann. Aber nicht jeder will gleich so steil einsteigen. Und oft liegt die Lösung im Kopf und nicht so sehr im Körper.
Also mehr ein kopfiger Lustunterricht?
Ja genau, ein lustig-lustvolles Seminar, das spielerisch zu neuen Denk- und Kommunikationsformen anregt und aufzeigt, wie Stolpersteine zu Spielbällen werden.
Gibt es denn ein Mittel gegen Unlust oder für mehr Lust?
Es gibt weder DIE Lust noch DIE Unlust. Unsere Vorstellungen über die Lust sind völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Wir machen in unserem Denken Lust zum Massstab und Unlust zur Störung. Dieses Denken schafft unglaubliches Leid und ist Unsinn.
So sieht es aber die Medizin.
Ja, leider. Aus meiner Sicht ist das, was als sogenannte Appetenzstörung oder Libidostörung definiert wird, in den meisten Fällen Ausdruck einer sensitiven Differenziertheit, die grossen Sinn macht. Aber leider nicht als das erkannt wird. Es wäre das gleiche, wie wenn man den Regenbogen als eine Störung werten würde, nur weil man mit blossem Auge dem Wassertropfen bzw. dem Sonnenlicht die Spektralfarben nicht ansieht.
Können Sie das konkreter ausdrücken?
Etwa 40% der Frauen und 20% der Männer aus einer gesunden Beziehung kennen den Gedanken, „es“ nicht zu brauchen“ und auch ohne Sex alt werden zu können. Das ist völlig normal und eine Frage der Persönlichkeit. Ich unterscheide deshalb den Lusttyp Eros bzw. „Feuerzeug“ und den Lusttyp Agape, bzw. „Samenkorn“ und sehe beide als gleichwertig an. Typ Eros reagiert stärker auf (spannende) Reize, und Typ Agape mehr auf (entspannte) Atmosphäre.
Und wie bringt man die beiden unterschiedlichen Lusttypen zusammen?
In erster Linie mit der radikalen Annahme der Andersartigkeiten. Jeder will in seiner Natur gesehen und anerkannt werden. Keiner muss ein Feuerzeug sein, wenn jemand ein Samenkorn ist. Die Bedürfnisse des Samenkorns sind anders gelagert als jene des Feuerzeugs. Alle Bedürfnisse dürfen auf den Tisch. Sexualität ist immer wieder ein feines Ausbalancieren verschiedenster Faktoren, die zudem bei jeder Begegnung neu und anders sein können. Eigentlich ein wunderschönes Spielfeld …
Braucht es nicht trotzdem Begehren und Verlangen?
Ja und nein. Appetit und Genuss können auch erst im jeweiligen Moment entstehen. Die Haut Cousine zu geniessen ist ja auch weniger eine Frage des Hungers, als eine Frage der Kultur, der Musse und der bewussten Wertschätzung.
Haben Sie noch einen Rat an unsere Leser?
Sexualität ist wunderbar einfach und herrlich kompliziert. Ich wünsche allen die Fähigkeit, beides zu würdigen und zu geniessen.
– Stephanie Schmid