Eine «Sexkiste» als Eisbrecher

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Das Winterthurer Autorenpaar Kristina Pfister und Claude Jaermann stellt die «Sexkiste der Liebe» vor: 500 Fragen sollen Paare zum lustvollen Nachdenken über ihr Liebesleben einladen.

«Wie gerne bin ich nackt?» Die rund siebzig Zuhörenden in der Buchhandlung Orell Füssli lauschen gespannt. Das Autorenpaar Pfister und Jaermann hat sich bereit erklärt, zwei der 500 Fragen der «Sexkiste der Liebe» selbst durchzuspielen. «Ich bin gerne nackt», sagt Kristina Pfister. «Besonders in der Natur, an einem einsamen Strand.» Auch Claude Jaermann fühlt sich nackt wohl und mag das Gefühl von Sand und Wasser an seinem Körper. Er fügt bei: «Ich schlafe auch gerne nackt. Ich besitze kein Pyjama.» Danach antworten die Lebenspartner gegenseitig auf die Frage: «Was gefällt mir an deinem Körper?»

Nicht jedes Paar würde sich trauen, so offenherzig vor Publikum zu sprechen. Doch wie sieht die Situation in den heimischen Schlafzimmern aus? Trotz der Omnipräsenz von Sexualität in Werbung, Filmen und dem Internet lernen wir nirgends, unverkrampft über dieses Thema zu reden, findet «Landbote»-Redaktorin Karin Landolt, die das Gespräch leitet. Pfister stimmt zu. «Meine Praxis wäre fünfzig Prozent schlechter besucht, wenn die Partner mehr miteinander reden würden», so die Sexualberaterin.

Die «Sexkiste» soll dabei als Eisbrecher dienen. Die 46 Karten in der quadratischen Schachtel erinnern an ein Spiel. Ein spielerischer Ansatz sei auch durchaus erwünscht, sagt Jaermann. Der Seminarleiter und Texter («Eva»-Comics) hat die Fragen mitgestaltet. Verbindend sollten sie wirken, nicht konfrontativ. Es gibt kein «Warum» auf den Karten – diese Frage sei in der Sexualität blockierend und letztlich gar nicht zu beantworten, findet Pfister. Eigene Fantasien, aber auch Ängste und Probleme anzusprechen, kostet Überwindung, ergänzt Jaermann. «Ich merke aber, wie bereits das Erzählen mich meiner Partnerin wieder näherbringt.» Dieses vertrauensvolle, offene Zeigen – Jaermann spricht von «Nacktheit im übertragenen Sinn» – sei ihm auch ausserhalb der Sexualität ein wichtiges Anliegen. Herkömmliche Ratgeber für Paare stecken, wie der Name sagt, voller Ratschläge. Mit ihrer Schachtel voll Fragen verzichten Pfister und Jaermann bewusst auf solche. «Sie standardisieren die Menschen», findet Jaermann. Gerade weil wir Sexualität nicht lernten, orientierten wir uns stark an Vorbildern aus Kino, Presse und Werbung – an der Sexualität der anderen also. Pfister bestätigt: «Ich glaube, die Individualisierung beginnt beim Thema Sex erst langsam. Die Frage ist: Will ich der Masse folgen oder meinen eigenen Weg entdecken?» Diesen eigenen Weg zu erkunden, dazu sollen die Fragen Anstoss geben.

Klassiker Unlust

Der Klassiker der Partnerprobleme bleibt die Unlust. Was tun, wenn er will, aber sie nicht oder umgekehrt? Hier ist Feinabstimmung und Kommunikation gefragt, sagt das Autorenpaar. Wichtig ist beiden, nicht Lust als Normalität und Unlust als Defekt zu verstehen, wie das oft geschehe. Sie schlagen ihr eigenes «Eros-Agape-Modell» vor: zwei Lusttypen, die jeder in sich vereint. Ihr Wechselspiel soll die Ökonomie von Lust und Unlust greifbarer machen. «Eros» ist zielstrebig, leidenschaftlich, und etwas ungeduldig; ein Gerät auf Stand-by, ein Feuerzeug. «Agape» ist gefühlsbetont, langsam, manchmal himmlisch faul; ein Samenkorn, das zur Blüte gelangen will. Welcher Lusttyp dominanter sei, hänge von der Persönlichkeit und Situation ab. Generell brauche es zur Lust wie auch zum beglückenden Einsatz der «Sexbox» vor allem eines: viel ungestörte Zeit. – MICHAEL GRAF

Kristina Pfister und Claude Jaermann wollen mit den Fragen der «Sexkiste» für ein erfüllteres Sexleben sorgen. – Bild: Moritz Hager